Je mehr Raum die Disziplin des Vorsingtrainings in meiner Arbeit einnimmt, umso öfter stosse ich auf die Frage:
Gibt es einen professionellen Klangstandard?
Wenn ja, an welchen Kriterien kann ich ihn messen?
Wie kann ich ihn erreichen?
Wenn wir hervorragende Sängerinnen und Sänger der Vergangenheit wie der Gegenwart hören, kommen wir nicht umhin, unabhängig der nationalen Herkunft einen internationalen Klangstandard herauszuhören, der Stimmen von dauerhaftem Weltruhm auszeichnet.
Internationaler Klangstandard
Dieser Standard, wie er von allen grossen Opernhäusern gefordert wird, zeichnet sich durch eine ebenmässige Verblendung der Register, eine verlässliche, tragende und strahlende Höhe durch die Beherrschung des passaggios, und einer Durchschlagskraft aus, durch einen ‚Kern‘ in der Stimme auf der Basis einer bedingungslosen Körperanbindung, die sie auf der Bühne tragfähig macht und somit nicht in die Gefahr des Forcierens geraten lässt.
So weit so gut, man kann dieser Liste sicherlich noch Punkte anhängen oder sie variieren, das hängt aber wahrscheinlich mit Hörgewohnheiten zusammen. Wenn es also einen objektiven Standard gibt, der auf internationaler Ebene Sängerinnen und Sänger erfolgreich sein lässt, ergibt sich eine ganz andere Frage:
Warum findet man heute so wenig deutsche Sängerinnen und Sänger, die diesen anerkannten Kriterien gerecht werden können, d.h. dauerhaft an der Weltspitze ihren Platz haben?
Warum findet man in den Besetzungslisten unserer Opernhäuser so wenig deutsche Namen, sobald es ins italienische oder dramatische Fach geht, warum sind in den Endrunden der Wettbewerbe oft kaum noch hiesige Gesangsstudenten vertreten?
Sind die „Anderen“ einfach besser oder woran kann man das festmachen?
Und – war das schon immer so?
Veränderung der Tradition
Ich erinnere mich an eine Besetzungsliste an der Met zur Zeit des zweiten Weltkrieges. Es wurde Wagner gegeben, und der grösste Teil des Ensembles waren deutsche Namen.
Es gab zu der Zeit noch eine Phalanx von erstklassischen deutschen Sängern, gerade im dramatischen Fach, die, ungeachtet der Tatsache dass Deutschland verfemt war, erfolgreich auf internationalen Bühnen standen. Auch in Deutschland selbst gab es bis in die 50/60er Jahre hinein hochkarätige Ensembles, die sich auf eine blühende Gesangstradition berufen konnten.
Was ist in den letzten 40 Jahren also passiert, das sich die Gegebenheiten so umgekehrt haben?
Zum einen ist der zweite Weltkrieg selbst wohl eine grundlegende Ursache für die Zersprengung einer fruchtbaren Tradition, die immer italienisch geprägt war. (Auch Wagner konnte nur auf Sänger zurückgreifen, die in der italienischen Tradition ausgebildet worden waren – es gab keine andere).
Durch das Kriegsgeschehen wurden viele Karrieren aprupt beendet, oder aber die Sängerinnen und Sänger wurden in alle Winde verstreut, d.h. sie standen in Deutschland zur Ausbildung des Nachwuchses nicht mehr zur Verfügung. Zum anderen liegt der Grund an der Tatsache – wiederum eine Folge der deutschen Geschichte – das wir heute ein Problem mit Elite (Hochleistung), Disziplin, Autorität und Tradition haben.
Dies alles aber sind Merkmale einer guten künstlerischen Ausbildung.
Eine speziell deutsche Problematik
Als der Film „Rhythm is it!“ auch hierzulande Furore machte, wurde ein Internetforum geschaltet, um den unzähligen Interessenten einen Raum zum Austausch zu bieten: aber bis heute wird in diesem Forum nahezu nur ein einziges Thema diskutiert – ist das, was man da sieht faschistoid oder nicht, verbunden mit Anschuldigungen, Erklärungsversuchen, Entschuldigungen etc…
Dies Beispiel zeigt ganz deutlich, dass wir es hier mit einer speziell deutschen Problematik zu tun haben: immer wenn eine maßgebliche Autorität Disziplin einfordert und andere in Berufung auf eine Tradition zu beeindruckenden Hochleistungen führt, bewegen wir uns auf Glatteis, und sofort werden Stimmen laut, die warnend den Zeigefinger heben und an unsere Geschichte erinnern.
Hier wird einfach verkannt, dass der Faschismus diese Elemente missbraucht hat, sie aber nicht per se fragwürdig sind. Sie waren in allen Gesellschaftsformen schon immer das Kennzeichen gerade künstlerischer Ausbildung.
Kennzeichen dieser Problematik
Hochleistung hat bei uns immer den Touch des Unnatürlichen, des maßlos Anstrengenden und Ungesunden, Unnatürlichen und wird somit immer kritisch beäugt, obwohl wir seit der wissenschaftlichen Untermauerung der Flow- Erfahrungen von Sportlern und Musikern wissen, das sich Hochleistung als sehr leicht und angenehm erweisen kann.
Außerhalb des Sports ist aber eine Förderung in diesem Bereich noch nicht etabliert und Förderung im Fortbildungsbereich von Sängern und Sängerinnen im Sinne von Sponsoring von Seminaren etc., kommt sehr schleppend in Gang.
Hochleistung fordert Disziplin – die Übereinkunft eines jeden mit sich selbst, jeden Tag seine Fähigkeiten zu verbessern, seine Arbeit immer wieder zu hinterfragen und immer auf neue Gegebenheiten reagieren zu können. Diesen Begriff auf banalen Gehorsam zu reduzieren heißt, das Individuum und seinen Willen zum Lernen und Wachsen zu negieren und sagt mehr über den Kritiker aus, als über die Sache an sich.
In einem Zeitungsinterview wurde über eine junge Sängerin vom Salzburger Mozarteum berichtet, die jetzt auf den Festspielen eine Rolle singt und vor einer vielversprechenden Karriere steht – im Vorfeld des Interviews wurde ihr Gesangsprofessor befragt, was sie denn nun auszeichnet, und es war gar nicht ihre Stimme, die er als erstes erwähnte, sondern er hob ihre außerordentliche Arbeitsdisziplin hervor.
Autoritäten, die diese Disziplin fordern können und Gesangsstudenten dazu einladen, sich dieser Arbeit zu stellen, sind rar gesät. Das hat damit zu tun, dass in einer Gesellschaft, in der nur Jugendlichkeit einen Wert hat, kein richtiger Platz mehr für die „Älteren“ ist, die für die Überlieferung zuständig sind.
Auch der Begriff Tradition scheint mir durch unsere Geschichte belastet, es ist uns nicht mehr erlaubt auf Errungenschaften, die auf Traditionen beruhen, zurückzugreifen, und die „alte Schule“ der Gesangskultur ist so eine Tradition. Ich habe den Eindruck, das unter Gesangslehrern der Tenor besteht, dass jeder viele Wert auf seine eigene Technik, die auf eigenen Erkenntnissen beruht, legt, diese ausserhalb jedweder Kritik stellt und sich in seiner Arbeit auch in keiner Weise über den Tellerrand schauen lässt. Dieses Manko an Kommunikation und Vernetzung, deren Selbstverständlichkeit allen dienen würde, ist ein typisch deutsches Problem.
Internationaler Vergleich
Dozenten und Sänger anderer Nationen haben damit wohl kein Problem, gerade bei den Lehrern erlebe ich das bedingungslose Bekennen zu einer langen Tradition, deren Vertreter benannt werden, verbunden mit der Aussage, das die Arbeit eben nicht auf dem eigenen Mist gewachsen ist, sondern eingebunden, wobei das Individuum zurücktritt – die Vermittlung der Tradition ist wichtiger.
Wir haben kaum schlechtere Sänger, wir haben auch keine schlechteren Übungen als die anderen.
Wir machen die gleiche Musik und müssen lernen, psychologischen Ballast abzuwerfen und neben der technischen Fertigkeit auch lernen, mit Begriffen umzugehen, die im coaching etabliert sind, aber eigentlich aus der künstlerischen Ausbildung stammen:
Wie sieht eine optimale Ausbildungsumgebung aus?
Wie gehe ich mit den Gegebenheiten um, wie schaffe ich mir nützliche Gegebenheiten?
Wie optimiere ich meine Fähigkeiten?
Bekomme ich an meiner Ausbildungsstätte alles, was ich brauche?
Was sind meine Glaubenssätze als Sängerin oder Sänger?
Was macht meine sängerische Identität aus?
Wie beschreibe ich meine geistige Zugehörigkeit – warum singen im 21sten Jahrhundert?
Eine Arie singen können viele – aber eine gesunde, reife sängerische Individualität zu verkörpern, ein Bühnendarsteller zu sein, der in unserer bewegten Zeit etwas zu sagen hat und sich nicht mit dem Reproduzieren begnügt, ist das Gebot der Stunde.