Security of singing:
„A coordinated development of the singers body,mind and heart in unison from the beginning of study.“ – Alan Lindquest
Wenn in die Stimmarbeit der ganze Mensch einbezogen ist, ich die Stimme also nicht nur instrumental verstehe und bilde, sondern sie als Ausdruck der Persönlichkeit, die dahinter steht, sehe, betrete ich schnell Ebenen, die mit dem Singen erst einmal nicht so schnell in Verbindunggebracht werden.
Wenn das Ebenen sind, die auch noch negativ belastet sind, entsteht Unsicherheit – und die Folge ist oft, dass sie einfach ausgespart werden.
Einer dieser Bereiche ist die Aggression – ein Begriff, der in unserer Gesellschaft regelrecht in Verruf geraten ist.
Was hat Aggression mit Singen zu tun, und warum ist sie so negativ belastet?
Eine Definition der Aggression
Im Ursprung ist die Aggression eine wertfreie Äußerung unserer Lebenskraft und lässt sich daher nicht einfach auf ‚Gewalt‘ reduzieren. Sie ist die Kraft, die uns vorwärtsdrängen lässt, Ziele verfolgen, Wünsche äussern und auch Grenzen setzen lässt.
Jede aufrichtige Kommunikation, jedes gleichwertige Zusammenfinden von Menschen ist nicht denkbar ohne den Mut zur Auseinandersetzung – mit sich selbst und dem Gegenüber.
Kraft, Aggression und Sängertum
Diese Kraft ohne moralische Wertung kennenzulernen, ist Aufgabe des Sängers und der Sängerin. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, weil die Aggression heute oft mit Gewalt gleichgesetzt wird, und daher aus gutem Grund abgelehnt wird: wir müssen aber erkennen, dass wir es in der Gewaltäußerung mit einer Unfähigkeit zu tun haben, mit dieser uns innewohnenden Kraft umzugehen.
Eine alte östliche Weisheit sagt:
„Du musst den Drachen nicht töten, sondern lernen, auf ihm zu reiten.“
Wir müssen erkennen, das in dieser Kraft ein Potenzial liegt und lernen, damit umzugehen, und sie nicht zu verteufeln oder zu negieren.
Der Sänger hat sich entschlossen, einen Beruf zu ergreifen, in dem es heute kaum noch Festanstellungen gibt, er einem hohen psychischen Druck ausgesetzt ist, und mit Rentenansprüchen und Zukunftssicherungen nicht gerade überschüttet wird.
Aber er hat etwas gewählt, was er wirklich, wirklich selbst tun will, aus einem inneren Bedürfnis heraus, aus Liebe zu dem Tun – und das offenbart eine unendliche innere Kraft, die in seinem Singen – und Singen ist immer Kommunikation – spürbar ist.
Es gibt im sängerischen Vortrag also noch eine meta-Ebene, die sagt: mit meinem Tun künde ich auch von dem Weg zu einer inneren Freiheit, den ich mir erarbeitet habe, und der jetzt hörbar wird, und diese Arbeit kann auch jeder der Zuhörer leisten, wenn er dazu bereit ist.
Aber diese Einheit von Körper, Geist und Herz, von der Lindquest spricht, die eine Folge dieser Kraft ist, wird von Aussenstehenden oft als Aggression, und zwar in eben negativem Sinne, wahrgenommen.
Sich Raum nehmen und die Folgen davon
Der Sänger muss hier deutlich unterscheiden lernen, was er tut, und wen er als Ansprechpartner vor sich hat. Denn diese Äußerung hat mehr mit dem Anderen und dessen Befindlichkeit zu tun, als mit der eigenen Handlung.
Denn diese Kraft wirkt raumgreifend, weil der Sänger lernt, sich seinen Raum zu bauen, in dem er agieren kann, sich darin sicher zu fühlen – und ihn auch zu verteidigen. Diese kKraft hat eine Wirkung, die jemand, der sie eben nicht besitzt und das in diesem Moment (vielleicht schmerzlich) spürt, nicht ertragen kann, und das wird dem Ausübenden dann gerne vorgeworfen.
Das Öffnen der eigenen Flügel kann von Anderen als bedrohlich wahrgenommen werden.
Unterrichtserfahrungen
Ich mache in meinem Studio die Erfahrung, das Männer wie Frauen vor diesem ‚aggressiven‘ Akt des Singens oft zurückschrecken, weil sie das gesellschaftliche Stigma verinnerlicht haben. Ein Merkmal dieses sängerischen Impulses nach aussen, ist das „Zähne zeigen“. (Was ja auch oft als negativ angesehen wird.)
Das Lösen der Oberlippe und Zeigen der oberen Zähne geht einher mit der Bewusstmachung des harten Gaumens und ist für den Maskenklang und den Kern, dem ‚Metall‘ in der Stimme verantwortlich.
Die Kehle ist der letzte Engpass des Körpers – hier ist, zusammen mit dem Unterkiefer, die letzte Instanz, die einen emotionalen Impuls von innen noch bremsen kann. Wenn es dem Sänger oder der Sängerin gelingt, Kehle und Kiefer zu lösen und offen zu halten, kann dieser Impuls sich auch frei entfalten und seine Macht entwickeln.
Die Präsenz des Brustbeins hat viel mit der Raumdefinition zu tun: das sich in den Raum bewegen und den Raum mit seiner Präsenz zu erfüllen, ist auch ein Bewusstsein für das Brustbein. Sein lateinischer Name belegt das deutlicher: sternum, was ja soviel wie ‚der Ausstrahler‘ heisst.
Wir alle tragen diese Kraft in uns, und besonders der Sänger und die Sängerin muss sie zu nutzen wissen: d.h, wir müssen ihre positiven und auch negativen Aspekte anschauen lernen, und einen Umgang damit finden.
Oder wie Janet Williams in einer Meisterklasse humorvoll sagte:
„Lerne, Porsche zu fahren!“
Lerne, die Kraft, die Du aus dir selbst heraus entwickeln kannst, zu gestalten, lerne ihre Stärke kennen, und lerne, den „Drachen zu reiten“, denn auf dieser Ebene bewegt sich der künstlerische Ausdruck des Sängers.