„Wir wissen heute, dass jedes Partikel im physischen Universum seine Eigenschaft durch Frequenz, Muster und Obertöne ihrer speziellen Schwingungen, also durch ihren ‚Gesang‘ erfährt. Dasselbe gilt  für alle Formen von Strahlung, alle starken und schwachen Naturkräfte und für alle Informationen. Bevor wir Musik machen, macht die Musik uns…die Art und Weise, wie Musik entsteht, ist auch die Art und Weise der Entstehung der Welt…die Tiefenstruktur der Musik ist identisch mit der Tiefenstruktur aller Dinge.“

 – G. Leonard

BesprechungEs wird im Unterricht und in der sängerischen Praxis viel über Stimme und Technik gesprochen, über Leistungsstandards und notwendige Fähigkeiten – auch auf diesen Seiten – der Fokus wird also immer eher auf ein Ziel gerichtet, und es besteht die Gefahr, dass man darüber die Voraussetzungen vergisst, die ein erfolgreiches Erreichen des Zieles ermöglichen. Die Voraussetzung bin ich selbst, mein Zustand und meine Befindlichkeit.

Im Coaching wird mit diesen Elementen gearbeitet, und in meinem Austausch mit verschiedenen Trainern, die für die Industrie tätig sind, stellte ich erstaunt fest, dass sie oft Übungen verwenden, die vom Ursprung her der künstlerischen Arbeit entlehnt sind. (z.B. das ’stagewalking‘)

In diesem Artikel möchte ich versuchen, diese Methoden in die künstlerische Arbeit zurückzuführen.

Ich habe schon an anderer Stelle die Diskrepanz zwischen der eigenen Übesituation und einem Vorsingen beschrieben.(siehe Artikel: „Vorsingen“). Diese Diskrepanz kann entstehen, wenn die Bereiche des ‚Selbstmanagements‘ nicht beleuchtet werden, also ein Bewusstsein über den eigenen Zustand nicht vorhanden ist.

Im Coaching hat sich eine Beschreibung der inneren Ebenen etabliert, die sich der Sänger und die Sängerin ebenso zu eigen machen können:

  • Spirituelle Ebene
  • Mission
  • Vision
  • Glaubenssätze
  • Behaviour
  • Methoden
  • Fähigkeiten
  • Arbeitsumfeld (Equipment)

In der Aufzählung gehen die Ebenen von innen nach außen, in der umsetzenden Beschreibung wollen wir den umgekehrten Weg wählen, weil der Beginn mit dem Äußeren fassbarer und einfacher ist. Erfahrungen meiner Studioarbeit haben gezeigt, das fehlgeschlagene Vorsingen – wo der Sänger auf der technisch-musikalischen Ebene gut vorbereitet war – immer auf eine unzulängliche Behandlung dieser inneren Ebenen zurückzuführen waren.

Das Arbeitsumfeld und Equipment des Sängers

Die wichtigste Gegebenheit im Arbeitsumfeld ist ein akustisch adäquater Überaum, den ich so oft wie möglich nutzen kann. Solange wir in einer Ausbildung an einer Hochschule etc. sind, machen wir uns darüber kaum Gedanken, schwieriger wird es danach, wenn ich in der eigenen Wohnung feststelle, dass bei regelmäßigem Üben der Nachbar an die Wand klopft. Anders als bei einem Instrumentalisten kann das einem Sänger die Kehle zuschnüren, und die Stimme ‚verkleinern‘ aus Rücksicht auf die Mitbewohner, ist ein unhaltbarer Zustand und kontraproduktiv. Hier gilt es, sich rechtzeitig nach einem etwaigen Gemeindesaal (im Tausch kann man einen Gottesdienst musikalisch gestalten) oder mietbare-und bezahlbare-Räumlichkeiten umzuschauen.

Große Stimmen müssen bedenken, dass die volle Qualität ihrer Stimme sich nur in einem großen Raum entfalten kann. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine dramatische Stimme in einem kleineren Raum sogar unschön klingen kann, weil die einzelnen Resonanzfaktoren sich erst in der Luft eines grossen Raumes mischen. Der Sänger sollte also immer wieder einen größeren Raum aufsuchen und hier auch seine Stimme aufnehmen, um den objektiven Klang hören zu können.

Zum Aufnehmen eignet sich heute jedes Smartphone oder jeder Laptop. Man kann sich die Begleitung zu seiner Literatur von einem Korrepetitor auf Band spielen lassen und auch seine Stunde aufnehmen – zur späteren Eigenkontrolle und zum besseren Memorieren der jeweiligen Übungen. Jeder Gesangsschüler kennt die Erfahrung, das man die einzelnen Übungen einer guten Gesangsstunde schnell vergisst, weil man in der intensiven Stunde auf mehreren Ebenen gleichzeitig agiert. Mit einer Aufnahme kann man sich die jeweilige Stunde noch einmal ’selbst‘ geben, indem man an der aufgenommenen Stunde ‚entlang übt‘.

Der Raum, in den ich mich zum regelmässigen Üben begebe, muss bestimmten Kriterien entsprechen: diese liegen allein in meiner persönlichen Befindlichkeit.

Was brauche ich, um einen fremden Raum zu meinem Raum zu machen, damit ich mich in ihm frei bewegen kann, mich entfalten kann?

Wie muss ich einen Raum gestalten, damit er ein kreativer Raum wird, oder einer, in dem Kreativität möglich wird?

Einzig mein inneres Gefühl ist hierbei Richtschnur.

Fähigkeiten und Fertigkeiten

_Unterricht3Viel wird über das Ziel gesprochen: eine Aufnahmeprüfung bestehen, Auditions erfolgreich absolvieren, einen Vertrag bekommen, etc … über die Beschaffenheit des Ziels sind sich alle generell einig.

Wenn ich mir einen Raum geschaffen habe, in dem ich mich kreativ entfalten kann, muss ich mich fragen, welche Fertigkeiten setze ich ein, um dieses Ziel zu verfolgen, welche Fähigkeiten habe ich?

Welche Fertigkeiten aus anderen Bereichen unterstützen meine Arbeit?

Beherrsche ich Techniken, um meine Konzentrationsfähigkeit zu sichern?

Weil es doch um sängerische ‚Hochleistung‘ geht, habe ich auch die Fähigkeit, mich wirklich entspannen zu können?

Übungen aus der Alexander-Technik, Feldenkrais und dem Yoga sind hier sehr hilfreich.

Es wird immer deutlicher: um konstruktiv und erfolgreich mein Ziel zu verwirklichen, muss ich meinen eigenen Zustand gut kennen und ihn schützen können. Dazu Charlotte Seher 1953:

„Wir müssen lernen zu fühlen, zu spüren, zu sehen, zu riechen, zu sprechen, ohne das irgend eine Autorität unseren Austausch mit der Welt zensiert…wir müssen lernen, mit dem eigenen lebendigen Selbst zu kommunizieren, mit dem anderen, mit dem Leben. Körperlich geht es uns dann am besten, wenn unser Organismus bereit ist, auf unser Erleben zu reagieren. Wir stellen in unserer Arbeit fest, dass sich nichts wiederholt, wenn wir nur tief genug gehen.“

Methoden

Welcher Methode bediene ich mich, um mein Sängertum erfolgreich zu entfalten?

Hier ist es an der Zeit, über seine eigene sängerische Arbeit nachzudenken: bewege ich mich in einer bestimmten Technik, in einer bestimmten Tradition, oder habe ich ein eigenes, für mich stimmiges System entwickelt?

Was von beiden ist besser für mich?

Habe ich eine ‚Methode‘ von meinem Lehrer übernommen, und inwiefern steht dieser oder diese selbst in einer Tradition? Kann ich mich damit identifizieren und vertraue ich ihr?

Hat eine bestimmte Methode bestimmte Sänger hervorgebracht?

Wenn ja, kann man charakteristische Gemeinsamkeiten heraushören?

Kann ich mich mit diesen Merkmalen identifizieren, und möchte ich das tun?

Behaviour

Ich habe hier das englische Wort gewählt, weil es meines Erachtens umfassender wirkt als das deutsche ‚Verhalten‘, es bewegt sich auf äußeren und inneren Ebenen:

Da Singen ein kommunikativer Akt ist, schaue ich jetzt meine eigene Kommunikation an: wie möchte ich auftreten – wie trete ich auf? Gibt es hier eine Diskrepanz?

Dabei spiegelt mein Bühnenauftritt den im Alltag wieder: der Umgang mit mir selbst und mit Anderen, meine Körpersprache als Ausdruck meiner inneren Befindlichkeit.

David Jones brachte in einer masterclass die ganzen psychologischen Aspekte unseres Verhaltens, was unser Sängertum betrifft, auf den Punkt:

– be professional –

Jeder einzelne muss sich auf der sängerischen Ebene entscheiden, ob er sich mit dem ’student-sound‘ begnügt, oder den ‚professional-sound‘ anstrebt.

Der eine hat mit schneller Genügsamkeit zu tun, der andere mit dem Willen zum ständigen Arbeiten und Wachsen.

Der Aspekt hat Gültigkeit in der Art unseres Telefonierens mit Agenturen, Veranstaltern, Theatern, wichtigen und weniger wichtigen Personen.

Er berührt das leidige Thema der Honorarregelungen von der kleinsten Mucke bis zu den größten Engagements.

Das Festlegen von Honoraren hat etwas mit der Wertschätzung unserer eigenen Arbeit zu tun, und damit kommen wir zum nächsten Punkt:

Glaubenssätze

Still-Noten2Hier ist der Platz, um die Wertigkeit unserer Arbeit und unseres Sängerdaseins zu beleuchten:

Warum will ich überhaupt singen? War das meine eigene Entscheidung, oder hat mir jemand dazu geraten? Wie schätze ich meine Fähigkeiten ein?

Was glaube ich über mein sängerisches Können?

Was bedeutet mir meine sängerische Arbeit?

Was würde ich tun, wenn langfristig Erfolg ausbleibt?

Was kann ich anderes tun, wenn meine Stimme aufgibt?

Unterliegt meine eigene Wertschätzung einer Beschränkung?

Wenn ja, ist diese Beschränkung von mir, also von innen, oder von jemand anderem, also von aussen?

Vision

Wenn ich lernen kann, mich selbst und mein Tun rückhaltlos anzunehmen und nicht zu beschränken, betrete ich die Ebene der eigenen Vision.

Ich erlaube mir, mein wirkliches Ziel mit ganzer Kraft und ganzem Herzen vorzustellen.

Wie sieht die Musik aus, die ich singen will?

Wie sieht die Bühne aus, auf der ich stehen will?

An welcher Stelle auf ihr möchte ich sein?

An welchen Häusern möchte ich singen, und mit wem?

Das alles hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, sondern mit dem Öffnen der eigenen Flügel – um sich der Musik im richtigen Rahmen in den Dienst stellen zu können,

Damit betreten wir den Raum der

Mission

Wieder die Frage: warum singe ich? – auf einer umfassenderen Ebene.

Was bedeutet mir Theaterarbeit, und wie sehe ich meinen Teil daran?

Was ist der Sinn von Theaterarbeit für die Gemeinschaft?

Was ist meine Aufgabe im Leben überhaupt und wie fließt das in meine Arbeit ein?

Warum stehe ich an der Stelle, an der ich stehe, und was habe ich hier zu tun?

Spirituelle Ebene oder geistige Zugehörigkeit

gibt es diese Ebene für mich – wie könnte sie aussehen? Gibt es einen Bereich, der – jenseits meines künstlerischen Tuns – über mein Sein hinausragt?

“ … bevor wir die Musik machen, macht die Musik uns … „

Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt dieses Artikels.

Gibt es eine übergeordnete Ebene, wo wir uns begegnen?

Julia Cameron hat in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ gesagt:

„Der Künstler des 21. Jahrhunderts muss ein spiritueller sein.“

Hier wird ein großer Bogen gespannt, vom Künstler, der leidend, mittellos seine Kunst aus sich herausbricht – was eine Erfindung des Geniekults des 19.Jahrhunderts war – zum bewusst ganzheitlich denkenden und schaffenden Künstler.

Singen ist Kommunikation und wir sind heute angehalten, diesen Bogen zu spannen.

Neben aller technischen und interpretatorischen Arbeit macht die Integration dieser Ebenen den ganzen Menschen aus: einen Künstler, der die Berechtigung hat, auf der Bühne zu stehen, nicht weil er einfach nur schön singen kann, sondern weil er etwas zu sagen hat.