„Lehrer öffnen die Tür – hineingehen mußt Du selbst!“ – chin. Sprichwort
Was ist die Aufgabe des Bühnendarstellers im 21.Jahrhundert?
Im griechischen Theater galten sie als Bewahrer der Wahrheit.
Die Sängerinnen und Sänger, die ich auf Aufnahmeprüfungen oder Auditions vorbereite, müssen sich irgendwann einmal dieser Frage stellen:
was heißt es für uns heutzutage – eine Bühne zu betreten – in einer Gesellschaft, die ihren Wert im Individuum sieht, welches aber mehr und mehr seine Präsenz verliert und durch die mediale Allgegenwart immer wieder von sich abgelenkt wird.
Wo liegt die Wahrheit des Bühnendarstellers?
Julia Cameron sagt in ihren Überlegungen („Der Weg des Künstlers“), der Künstler des 21. Jahrhunderts müsse ein spiritueller sein, oder er wird nicht sein.
Wir müssen hier deutlich zwischen religiös und spirituell unterscheiden: der Geist der Spiritualität befasst sich mit dem jetzigen Augenblick – unser Denken heute richtet sich jedoch immer in die wehmütige Vergangenheit oder blickt angstvoll in die Zukunft und verliert so das Bewußtsein für die Präsenz im Jetzt – der Kernpunkt jeder Bühnenhandlung.
Das Agieren im Jetzt, und ein actor ist ein Handelnder,wie es auf der Bühne stattfinden kann, ist eine Form der Kommunikation, nach der sich alle Menschen sehnen.Der Darsteller auf der Bühne hat die Aufgabe, diese Präsenz herzustellen, und sie mit dem Publikum zu kommunizieren: dann kann ein Moment der Verbundenheit entstehen, an den man sich sein Leben lang erinnern kann, weil er uns mit unserer tiefsten Lebendigkeit verbindet.
Darum muß der Bühnendarsteller für eins bereit sein:er muß seine Absicherungen aufgeben, die ihn von der echten Emotion, der Verbindung zum Ganzen – auch dem Scheitern – fernhalten.
Wenn eine ganze Gesellschaft diese Präsenz zu verlieren droht, und in der virtuellen Welt geschieht genau dies,ergibt sich für ihn ein wirklicher Auftrag, wie ihn das Theater seit Ur-Zeiten verstanden hat:er wird wieder zum Bewahrer der Wahrheit.
Gerade im Theaterberuf ist der Blick in die Zukunft nicht besonders rosig, und viele fragen sich, ob sie den Mut aufbringen, und woher sie denn die Kraft und die Zuversicht nehmen sollen, diesen Weg trotzdem zu gehen.
Hochschulen
Immer wieder habe ich mit den Studenten und Studentinnen, die sich in meinem Studio auf eine Aufnahmeprüfung vorbereiten, lange Gespräche über die „‚richtige“ Hochschule, die einem eine profunde Ausbildung gibt und so einen erfolgreichen Start in diesen Beruf garantiert.
Meine Antwort lautet immer wieder, es gibt diese Schule, wo ich die Sicherheit habe, alles adäquat zu lernen was ich brauche, nicht. Hier in Deutschland nicht, nicht in den Nachbarländern und auch nicht in den USA.
Die einzige Sicherheit liegt in mir selbst. Also weniger in den inhaltlichen Dingen als in meiner Einstellung und Herangehensweise dazu. Es geht um einen energetischen Kreis, den ich in der Lage sein muss, zu ziehen. Welchen Charakter hat diese Energie?
„We are the ones, we have been waiting for“
Zum Neujahr 2000 haben die Hopi-elders ein Grusswort verfasst, in dem es unter anderem heißt:
„Banish the word `struggle`from
your attitude and vocabulary.
All that we do now
must be done in a sacred manner
and in celebration.
We are the ones
we have been waiting for.“
Es gibt die ideale Schule nicht, auch nicht irgendwo da draußen den idealen Lehrer, nach dem wir uns alle sehnen.
Wir Lehrer sind auch nur Menschen mit unseren Eigenheiten und Fehlern. Diese Sehnsucht nach Sicherheit entsteht immer aus einer Angst heraus, wobei das Objekt jeweils austauschbar ist.
Wir müssen uns aber bewußt machen, daß dies ein besonderes deutsches Problem ist. Unsere ausländischen Kollegen kennen den Begriff der „german angst“, und es scheint, daß diese Suche nach Sicherheit kollektiv ist. Aus unserer Angst heraus schielen wir dann immer nur auf das Ergebnis, und das muss ein Gewinn sein, der uns diese Sicherheit gibt.
Es gibt diesen Gewinn im Außen aber nicht. Es gibt nur das Ankommen bei sich und den ureigenen Gewinn für einen Selbst dadurch.Und dieser Weg beinhaltet auch die Erfahrung des Scheiterns, des Abstiegs.
Nahezu jeder künstlerische Weg erzählt davon, und von der Kraft, die mobilisiert wird, wenn man einmal durch so eine Erfahrung gegangen ist.
Wenn wir uns immer in unseren Absicherungen bewegen, wird uns der Gedanke der Furcht vor dem Scheitern immer beherrschen. Kennen wir dieses Gefühl des Abstiegs, lernen wir auch, es an seinen Platz zu verweisen.
Wir selbst sind die, auf die wir immer gewartet haben.
Warum Bühne?
Warum will ich auf die Bühne? Ist es aus einem Gefühl des Mangels heraus, weil ich als Kind nicht die Liebe bekommen habe, die ich zu der Zeit benötigt habe?
Wenn dies der primäre Grund ist, geht meiner Motivation schnell die Luft aus: ich muß irgendwann erkennen, daß ich keinen einzigen Menschen dazu bringen kann, mich zu lieben. Dieses Gefühl ist ein Geben und Nehmen zwischen zwei gleichberechtigten Seiten und es transformiert beide, es kann nicht eingefordert, nur verschenkt werden.
Es gibt viele junge Leute, die ehrgeizig und ambitioniert sind, weil sie einmal auf der Bühne erfolgreich sein wollen. Aber sie fragen sich kaum, was sie da eigentlich gerade tun, und warum sie es tun – weil sie nur die Zukunft und ein erfolgreiches Ergebnis im Auge haben.
Aber hier ist die Energie wieder nur einseitig ausgerichtet, es gibt keinen Austausch zwischen beiden Seiten.
Habe ich mich schon einmal gefragt, ob ich etwas zu sagen habe, etwas zu verschenken? Ist mein Talent es wert, gesehen und gefördert zu werden? Ist mir meine Sache so wichtig, daß ich in jedem Moment in der Achtsamkeit bin, mit jedem Wort, das ich spreche, mit jedem Ton, den ich singe?
Kevin Spacey hat es einmal so formuliert:“Ambitioniert sein, reicht nicht. Bin ich bereit, jeden Gedanken, jeden Atemzug meinem Projekt zu widmen?“
Dies könnte auch ein spiritueller Lehrer zu seinem Schüler sagen.
Energetischer Raum
Was hat es nun auf sich mit diesem energetischen Raum, den ich schaffen muß, und für den ich verantwortlich bin?
Patsy Rodenburg, voice-coach an der Guildhall-school London und coach von vielen großen Schauspielern, hat beschrieben, daß es drei energetische Zustände, circle of energy, gibt, in denen wir uns immer abwechselnd bewegen. Alle drei sind notwendig, aber einer davon ist die Basis für den erfolgreichen Bühnendarsteller.
Es gibt den ´first circle`, wo die Energie nach innen gerichtet ist, wie wenn wir in der U-Bahn sitzen und lesen, weil wir ein Bedürfnis der Abgrenzung haben.
Es gibt den ´third circle`, wo die Energie nur nach außen geht – das sind die Menschen mit stolzgeschwellter Brust, die immer ein bißchen zu laut sind, immer ein Stück zu nahe kommen und wir oft das Gefühl haben, sie rauben uns die Luft zum Atmen.
Und es gibt den ´second circle´, ein Feld, in dem es einen gleichmäßigen Austausch von energetischem Geben und Nehmen gibt. In diesem Feld agiere ich in meiner ureigenen Präsenz und bin mit allem verbunden:meinem Atem, meinem Körper, dem Raum,dem Publikum, der Musik, dem Partner auf der Bühne und der Figur.
Patsy Rodenburg hat in ihrer coaching-Arbeit herausgefunden, daß alle großen Bühnendarsteller sich in diesem ´second circle´bewegen, oder zumindest in ihn eintreten, wenn sie eine Bühne betreten.
Dieser ´second circle´ist eine natürliche Gabe, Kinder werden in ihm geboren, und unsere Aufgabe ist es, ihn wiederzufinden und zu bewahren.
Technische Fertigkeiten sind wichtig für diesen Beruf, sie dürfen aber nicht zum Selbstzweck werden.Dahinter steht der Weg zur Präsenz, von dem man künden kann, und das ist für mich der wirkliche Auftrag des Bühnendarstellers im 21. Jahrhundert.