„There is no teacher and there is no student, only two minds that come together.“ – Luciano Pavarotti
Externe Zuschauer meiner open classes sind oft über die stilistische Vielfalt des Dargebotenen verwundert: kann es doch passieren, dass es von der Oper über Jazz-Standards bis zu Flamenco-Gesang geht.
Oft herrscht die Meinung, dass diese weit auseinanderliegenden Genres auch einen vollkommen unterschiedlichen technischen Ansatz benötigen – das ist in dieser Runde immer der Beginn eines fruchtbaren Austausches.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Was sind die technischen Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede in diesen jeweiligen Genres?
Ich versuche als erstes, den Sängerinnen und Sängern klarzumachen, dass die Grundlage jeder Arbeit ein sicheres technisches Gerüst ist, dessen Basis eine sorgfältige Körperanbindung der Stimme ist. Hierauf erst kann die Resonanz-und Registerarbeit erfolgen. Ein Ausbalancieren dieser drei Elemente muss die Grundlage jeder stimmbildnerischen Arbeit sein, gerade wenn nicht-klassische Klangfarben verlangt werden.
Die Arbeit mit diesen drei Aspekten führt generell erst mal zu einem Klang, der dann als „klassisch“ bezeichnet wird – Ausgewogenheit der Register bei einer deutlichen Präsenz der Kopfresonanz. Diese Klangvorstellung wurde nicht erfunden, sondern war das Ergebnis langer empirischer Arbeit aufgrund der Beobachtung, das dies die gesündesten Funktionen für die Sängerstimme sind.
Der Unterschied von stilistischer Arbeit und Tonproduktion
Viele Sängerinnen und Sänger, die mit klassischem Gesang nichts zu tun haben wollen, wehren sich zunächst gegen dieses Klangergebnis (vermeiden z.B. das Vibrato, was doch erst einmal ein Kennzeichen der stimmlichen Freiheit ist), aber ich versuche zu erläutern, dass der Sänger immer lernen muss, stilisitische Arbeit von der der Tonproduktion zu unterscheiden.
Viele nichtklassischen Sänger machen den Fehler, in ihrer Stimmarbeit die Tongebung zu manipulieren, wo doch allein ein Spielen mit den stilistischen Mitteln gegeben wäre. Sie müssen ein körperliches Sensorium für die Tatsache entwickeln, dass der nichtklassiche Klang sich immer in einer schwereren Registermischung bewegt, also die Körperanbindung der Stimme, die den Einhängemechanismis des Kehlkopfes entlastet, noch sicherer ausgeprägt sein muss. Erst wenn der Sänger und die Sängerin gelernt haben, die Kehle bedingungslos frei zu halten, können sie es ‚wagen‘, in diesen schweren Funktionen zu arbeiten, ohne anhaltende Stimmschäden davonzutragen. Der technische Vorgang dazu ist in beiden Genres identisch.
Die reine Belcanto-Tradition hat die Dominanz der Mittelstimmfunktion immer als ihren Kernpunkt verstanden: das ‚Singen in der Maske‘ ist das Phänomen einer Mittelstimmfunktion und als solche vom Sänger deutlich zu spüren – es verliert sich, wenn man die Region der Mittelstimme nach oben oder nach unten verlässt.
Die Mittelstimme und der belt
Diese Mittelstimmdominanz ist der Ausgangspunkt für meine Arbeit am Belt der Frauenstimme. Ich habe schon an anderer Stelle beschrieben (siehe Artikel ‚Belten‘), dass, so wie ich es höre, der Belt eine Funktion der Mittelstimme ist und nicht eine hochgezogene Bruststimme.
Von diesem Vordersitz der Mittelstimme fange ich an, den Belt aufzubauen, weil man allein mit dieser Funktion in der Lage ist, ohne Bruch bis e“ (und höher) zu singen. Der Unterschied zum klassischen Klang liegt in der Platzierung der Vokale, die hier viel weiter vorn positioniert werden, in der Vermeidung des Kopfregisters- die Sängerin verbleibt in der Mittelstimmfunktion- und der anderen Handhabung des Vibratos. Dies ist nur möglich, wenn vorher eine saubere Registerverblendung erarbeitet wurde.
Auch wird die Vokalfärbung im passaggio der klassischen Sängerin hier anders gehandhabt: da die Frauenstimme im belt eine schwerere Muskelmasse bewegt, muss die Anpassung der Vokale viel früher erfolgen, meiner Erfahrung nach schon ab e‘ oder f‘.Die Deutlichkeit der Sprache, die z.B. im Musical erwünscht ist, geht schnell mit einer Kehlverengung einher, da das normale Sprachgefühl sich in einem viel kleineren Kehlraum ansiedelt, und wenn die Kehlweite erhalten bleiben soll, muss die Vokalform modifiziert werden – was bessere Textverständlichkeit für den Aussenstehenden zur Folge hat!
Es zeigt sich oft im Beginn des Unterrichts, dass der muskuläre Halt für diesen Klang nicht ausreicht, und die Sängerinnen, weil sie das Ziel eines bestimmten Klanges im Ohr haben, schnell zum forcieren neigen. Sie haben ein Klangideal vor Augen, aber negieren, dass der Körper diese Funktion – in diesem Moment – nicht halten kann. Es bedarf einiger Geduld, zu akzeptieren, dass der Körper seine eigene Zeit hat, und die Muskeln lernen müssen, was sie zu tun haben. Gerade in dieser Phase werden oft Töne produziert, die mit dem Ziel nicht besonders viel gemein zu haben scheinen. Dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und die sängerische Potenz zu wahren halte ich in solchen Zeiten für meine vorrangige Aufgabe.
Ein Satz von der Stimmtrainerin Kristin Linklater („Freeing the natural voice“) hilft mir dabei sehr: „Vor der Schönheit kommt die Freiheit, und die klingt nicht immer schön!“
Die Fähigkeit der Registerverblendung ist im belt in der tieferen Mittellage das wichtigste Thema, weil in der Literatur Sprünge erwartet werden, die sich in unterschiedlichsten Registergewichtungen bewegen und das alles in einer Lage, wo die Frauenstimme nicht ihre eigentliche Kraft hat. Die erlangt sie ja nur durch das Hineinmischen der Brustresonanz in die Mittelstimmfunktion.
Flamenco contra Klassik
Ein deutliches Beispiel für die notwendige Trennung zwischen technischer und stilistischer Arbeit zeigt eine Schülerin, die sich dem Flamenco-Gesang verschrieben hat. Als sie in mein Studio zum Vorsingen kam, „produzierte“ sie einen Flamencoklang, wie sie ihn hörte – leider mit sehr stimmschädigenden Mitteln. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass man z.B. als Nordeuropäer nicht so ohne weiteres eine südländische Stimme imitieren kann und man daher seinen eigenen Weg in diesen Klang suchen muss.
Sie ließ sich auf unsere Arbeit ein und wir kommunizierten immer wieder die Diskrepanz der Wahrnehmung zwischen klassischer Technik und dem Flamencoklang.
Nach zwei Jahren Arbeit sieht es heute so aus, dass ihre deutschen Kollegen sich über ihren „klassischen“ Unterricht skeptisch äußern, die andalusischen Gitarristen ihr aber einen authentischen Flamencogesang bestätigen – sozusagen ein Ritterschlag für ihre stilistische Arbeit.
Grob gesagt, ist der Flamenco ja eine Form des schweren Belt, und wenn sie sich in ihrer Literatur bewegt, hört man nichts von einer klassischen Klangmischung. Was ihr aber das klassische Training mitgegeben hat ist die Fähigkeit, mit der Mischung der Register zu spielen und auch ohne Mikrofon in der Lage zu sein, für ein ganzes Konzert über die Musiker hin einen Raum stimmlich zu füllen.
Freiheit der stilistischen Gestaltung
Das Ziel meiner Arbeit ist dann erreicht, wenn die Sängerinnen und Sänger in der Lage sind, auf der Basis ihrer technischen Fertigkeiten selbst die Entscheidung zu treffen, wie eine musikalische Phrase stilistisch zu gestalten ist, und nicht durch die Begrenzung ihrer Stimme zu bestimmten Formen genötigt werden – der Sänger also als Gestalter agiert und nicht als Opfer seiner Stimme, die eben nur auf eine bestimmte Art und Weise agieren kann.