Einer der zentralen Termini in der schwedisch-italienischen Technik ist der „ring“ in der Stimme. Ich muss diesen Begriff immer noch in Häkchen setzen, weil es meiner Erfahrung nach keine adäquate deutsche Beschreibung für dieses Klangphänomen gibt.
Der Primärton der alten deutschen Schulen
In alten deutschen Schulen wurde zwar bis in die dreissiger Jahre hinein vom Primärton gesprochen, aber ähnliche Begriffe sind in den modernen Beschreibungen der Gesangstechnik im deutschen Sprachgebrauch nicht mehr an der Tagesordnung.
Der „ring“ ist ein akustische Wahrnehmung über dem eigentlichen Sington und spielt sich somit im Obertonbereich der Stimme ab – sein Vorhandensein entscheidet massgeblich über die Tragfähigkeit und Durchschlagskraft der Singstimme.
Seit man sich wissenschaftlich mit der Stimme beschäftigt, gibt es die Lehre der Formanten, die die Qualität einer Sängerstimme beschreiben sollen. Es werden aber stets mehrere unterschiedliche Formanten beschrieben, deren Wertigkeit unentschieden bleibt.Einer dieser Formanten entspricht wohl dem Phänomen des „ring“, aber das Denken in dieser Art Bilder verführt den Sänger dazu, die Stimme zu sezieren und von aussen anzuschauen, da man den Formant so nicht wahrnehmen, sondern nur von aussen messen kann. Das ganzheitliche Stimmgefühl kann damit verloren gehen.
Zwei Obertonreihen
Man kann sagen, dass die menschliche Stimme im Unterschied zu jedem Instrument zwei Obertonreihen bilden kann: einmal auf der Basis der Bruststimme und auf der der Kopfstimme. Sie sind beide gleichzeitig vorhanden und stören einander in der Regel.
Wenn wir sagen, eine Stimme hat den“ring“, so scheint es so zu sein, dass diese beiden Obertonreihen zu einer zusammenschmelzen, und das ergibt dieses Klangphänomen, das der Zuhörer deutlich hören und der Sänger selbst direkt körperlich spüren kann.
Ursächlich ist die komplexe Beschaffenheit des vocalis, also die Stimmbandmuskulatur selbst dafür verantwortlich, ist sie doch in der Lage, nicht nur auf der ganzen Ebene, sondern auch in gleichmässigen Abschnitten (also 1:2,1:3,1:4 usw.) zu schwingen.
Diese Fähigkeit scheint überhaupt erst die Voraussetzung für das Bilden einer Obertonreihe zu sein und ist nur der menschlichen Stimme eigen, die dadurch in der Lage ist, Klang zu gestalten – also zu singen.
Ich mache in meiner Studioarbeit die Erfahrung, dass, da der Begriff „ring“ in vielen anderen Unterichten keinen Raum hat, viele Sänger darüber auch kein Bewusstsein haben. Einige beherrschen diese Qualität intuitiv ohne sie benennen zu können, aber vielen ist dieses Phänomen unbekannt.Mehr noch: da diese Resonanzwahrnehmung für einen selbst eher etwas Schepperndes denn ästhetischen Wohlklang hat, ist der Sänger oft bestrebt, sie zu vermeiden!
Der „ring“ im deutschen Unterricht
Dies scheint mir die Ursache zu sein, dass gerade deutsche Stimmen oft zur Verdickung der Mittellage neigen, das passaggio nicht beherrschen und damit der Weg in die echte Höhe nicht frei ist, weil sie immer geneigt sind, den Ton „selbst“ anzufassen, und nicht gelernt haben, auf der Ebene des ring zu arbeiten.
Der sängerische Biss, die Attacke oder das Greifen des Tones bewegt sich allein auf der Ebene des ring und nicht beim Ton selbst:
„Be agressively on the ring, not on the tone!“ – David Jones
Wir können auch sagen, dass der ring zwischen den Tönen passiert,d.h., er ist verantwortlich für das Transportieren des Klanges von Note zu Note, für das Wachsen im Raum ausserhalb des Sängers: die Voraussetzung für das legato.
Das Ergebnis bezeichnen wir dann als Kern oder Metall in der Stimme.