World-Voice-Day 2023

Andreas TalarowskiAllgemein

Am Sonntag, 16.4.2023 ist der internationale „World Voice Day“ und sein Motto lautet dieses Jahr:

„Your voice matters“
Wie jedes Jahr werden in der ganzen Welt Veranstaltungen zu diesem Thema abgehalten, sowohl mit medizinischem Schwerpunkt, als auch mit künstlerischem.
Hier vergeht dieser Tag relativ unbemerkt – wir haben ja auch gerade andere Themen, die uns bedrängen.
Darum möchte ich hier wenigstens ein paar Gedanken zu diesem Tag festhalten.


Die transgender-Stimme im Gesangsstudio


Unsere Stimme ist, oft mehr als uns lieb ist, ein unmittelbarer Ausdruck unserer Persönlichkeit und ist eng verbunden mit unserer Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung von Aussen.
Aber wir vertrauen unserer Stimme nicht mehr, wir leben in einer „non oral society“ und sind „word-shy“ geworden.(Patsy Rodenburg)
Durch die Gewohnheit, immer mehr über die sozialen Medien zu kommunizieren, haben wir regelrecht verlernt, unsere Stimme zu erheben, zu unserem Wort zu stehen.
Unsere Sprache hat eigentlich schöne Bilder für die Verbundenheit des Stimmklanges mit dem Körper: eine Stimme ist „beseelt“, oder sie „kommt von Herzen“, aber auch „einen Frosch im Hals haben“.
Seit einiger Zeit arbeite ich in meinem Studio mit meinen ersten transgender- Stimmen, und mache dabei eine gewaltige Erfahrung.
Wie muss es sich anfühlen, wenn die Stimme, die ich von mir höre, sich überhaupt nicht mehr mit meiner Selbstwahrnehmung deckt?
Wie kann ich dahin kommen, dass meine Stimme meine intendierte Botschaft sendet und damit eindeutige Botschaften?
Für Transmänner galt immer die generelle Annahme, dass die Hormongabe allein für die Veränderung der Stimme sorgt. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Stimme unter Testosteron besonders im 1.Jahr der Gabe oft unstabil wird. Man klingt dann z.B. als wäre man erkältet oder heiser. Das führte gerne zur ‚Selbstbehandlung‘ durch oft fragwürdige Tipps, was zu unangemessenen Veränderungen in Pitch (Tonhöhe) und Lautstärke führen konnte.
In den USA ist es nach Untersuchungen eher üblich, mit geringen Dosen zu beginnen und die dann nach und nach zu steigern, um eine aprupte Veränderung der Stimme zu vermeiden. In Europa wird oft mit der vollen Dosis begonnen, wohl um das Passing schneller zu erreichen.
Daher ist gerade hier ein sanftes aber kontinuierliches Stimmtraining hilfreich, um diese Veränderungen zu begleiten. Z.B. kann man die Absenkung des Kehlkopfes durch Vokalisen mit einem klassischen Ansatz erreichen –
Wichtig ist dabei aber, dass die volle Kraft einer cismale-Stimme nicht erreicht werden kann, weil der Knochenbau und die Muskulaturentwicklung limitiert sind.
Der Kehlkopf ist zwar erst um das dreißigste Lebensjahr voll ausgewachsen, aber auch wenn durch die Hormongabe die Muskulatur (und die Stimmbänder sind Muskeln) gestärkt wird, ist der Raum, den die „voicebox“ (der Kehlkopf) hergibt, begrenzt.
Daher müssen sowohl für Lehrer als auch für Schüler neue Hörgewohnheiten etabliert werden, wir brauchen eine Befreiung auch von binären Klangstandards.
Transfrauen haben mit ihrer Stimme ein andere Arbeit zu leisten, weil hier sich die Veränderungen nicht „von alleine“ vollziehen.
Da wir hier nur auf die Arbeit der Stimmbildung eingehen wollen ist ein Gedanke wichtig: „It’s not only about the pitch“
Es geht also nicht darum, nur eine andere Tonhöhe anzutrainieren. Wann eine Stimme als „weiblich“ erkannt wird, hat sprachlich und kulturell erhebliche Unterschiede.
Im Stimmtraining arbeiten wir also auch an der Phrasierung, dem Mut, Pausen zu machen und den Körper zu entspannen, an der Melodie der Stimme.Es geht darum erst einmal bestimmte Gewohnheiten der Stimmgebung als anerzogen zu erkennen – dann kann ich diese „habits“ auch verändern.
„ According to my voice teacher, the only way I could find my female voice was to realize that there was no difference between what I was and what I wanted to be. The voice of my future wasn’t something to strive for, it was something to relax into . . . I would find my voice by speaking as myself.“
(Joy Ladin, Gender Outlaws: The Next Generation, S.254)
„Durch die Veränderung hindurchzugehen, eine neue ‚vocal persona‘ – Erfahrung zu machen, kann ein triumphaler Erfolg in all den Schwierigkeiten sein.“ (A.Constansis, 2013)
Diese Veränderung zu begleiten, ist eine wunderbare Aufgabe. Alle, die mit diesem Anliegen in mein Studio kommen, haben ja eigentlich eine gesunde Stimme – sie will nur einen anderen Weg einschlagen.Darum sind sie motiviert, diese Arbeit auch anzugehen. Dabei stehe ich zur Seite mit meinen nummehr 34 Jahren Erfahrung und gut 30 000 Stunden als Gesangslehrer, Stimmcoach, Stimmbildner für die Sing-und Sprechstimme gleichermaßen.
Nicht nur am „World Voice Day“, sondern auch danach, jedenTag: „Your voice matters“
Andreas Talarowski 2023

Hilfreiche Literatur:
www.Studio-fuer-Gesang-Berlin.de
L.Jackson Hearns, B. Kremer: „The Singing Teacher’s Guide to Transgender Voices“, San Diego 2018
R.Adler, S.Hirsch, J.Pickering: „Voice and Communication Therapy for the Transgender/ Gender Diverse Client“, 3.Aufl. San Diego 2019
http://world-voice-day.org